Gründerland, das nicht gründet
Wie Gatekeeper Ideen blockieren, und ein Land sie gewähren lässt
Service providers masquerade as enablers while acting like petty border guards. They paint doors in friendly colours, then bolt them from the inside—advertising opportunity while practicing systematic deterrence. The most strategic response is not to argue, but to disconnect.
Es gibt Menschen, die verursachen Dienstleistungen an, so wie andere Verkehrsunfälle: aus einer Mischung aus Gewohnheit, Unaufmerksamkeit, tiefer Aggression. Man erkennt sie daran, dass sie im Internet mit strahlenden Versprechen werben und am Telefon klingen wie ein Stasi-Verhör in der Mittagspause.
Neulich habe ich so einen getroffen. Nennen wir ihn: Dosenmann.
Er betreibt mehrere Websites, alle mit wohlklingenden Namen. Jede lügt anders: ›Manufaktur‹, ›Kleinchargen‹, ›individuelle Lösungen‹, ›ideal für Start-ups‹. Unterschiedliche Layouts, unterschiedliche Logos, unterschiedliche E-Mail-Adressen. Dahinter: derselbe Mann, dieselbe Stimme, dieselbe Mischung aus Misstrauen, Überheblichkeit und passiv-aggressiver Langeweile.
Ich rufe an.
Ich entwickle funktionale, alkoholfreie Drinks, möchte eine Testcharge abfüllen lassen, keine große Produktion, aber genug, um Bars etwas in die Hand zu geben, das nicht aus der heimischen Küche stammt.
Genau das, was auf seiner Website steht: ›kleine Mengen, individuelle Lösungen‹.
Am Telefon erlebe ich etwas völlig anderes. Der Mann hebt ab wie einer, der schon in der ersten Silbe klarmacht, dass er eigentlich keine Zeit hat. Am anderen Ende jemand, dessen Lebensaufgabe offenbar darin besteht, zu erklären, warum alles nicht geht.
Dann kommt der Status-Check: »Sind Sie denn vom Fach?«
Übersetzung: »Darf ich Sie ernst nehmen oder kann ich Sie ignorieren?«
Danach der Abwehrblock: »In so kleinen Mengen lohnt sich das gar nicht. Das ist alles viel zu teuer. Das ist viel komplizierter, als Sie sich das vorstellen.«
Fachvokabular mit säuerlicher Routine und diesem Ton, der sagt: »Schön, dass Sie träumen. Ich bin hier, um Sie zu wecken.«
Er kennt weder mich noch mein Projekt, aber alle Gründe, warum es scheitern muss. In der Psychologie nennt man das Strohmann-Bau. Er kämpft gegen ein Phantom, das nur in seinem Kopf existiert.
Mein Anliegen interessiert ihn nicht. Er braucht ein Problem, an dem er seine Überlegenheit demonstrieren kann, keinen Kunden, dessen Problem lösbar wäre. Inhaltlich hätte ich ihm widersprechen können. Überlegen war er mir mitnichten. Aber er hatte den Hörer in der Hand. Also macht er, was Menschen dieses Schlages immer tun: er erklärt nicht Möglichkeiten, sondern Unmöglichkeiten. Er verkauft keine Lösung, sondern Abschreckung.
Nicht sein Ton war das Groteske. Den kenne ich von Ämtern, Handwerkern mit Monopolstellung, Ärzten, Bankberatern. Es war die Kluft zwischen Außendarstellung und Praxis. Es wirkte, als würde jemand drei verschiedene Restaurant-Websites betreiben — Fine Dining, Street Food, Familien-Bistro — und dann, wenn man reservieren will, am Telefon sagen:
Also Essen ist schwierig. Da bräuchten wir ja Zutaten, Personal, einen Herd. Das haben Sie sich alles zu leicht vorgestellt.
Der Dosenmann betreibt mehrere Websites, um Reichweite aufzubauen, will also gefunden werden. Er optimiert Suchbegriffe, investiert in Erscheinung. Aber sobald jemand wirklich etwas will, tritt er auf wie ein schlecht gelaunter Grenzbeamter. Solche Figuren begegnen mir in Deutschland andauernd: private Gatekeeper mit Behördenseele:
Beruflicher Auftrag: Dienstleistung anbieten.
Innerer Auftrag: Zugänge kontrollieren, Träume relativieren, Energie abkühlen.
Selbstbild: erfahrener Fachmann, der naive Idealisten vor Illusionen bewahrt.
Funktion: Filter. Nur wer sich gedemütigt durch seine Schranken drückt, darf womöglich irgendwann Kunde werden.
Kommunikationsstil:
Defizitfokus (›Warum das alles nicht geht‹)
Disqualifizierung des Gegenübers (›Sie sind nicht vom Fach‹)
Überhöhung der eigenen Erfahrung (›Das machen wir seit x Jahren‹)
Der Dosenmann lebt von einem Markt, den er verachtet. Sein Geschäftsmodell ist eine Metapher für viele Strukturen in diesem Land: Türen bunt anmalen, dann von innen verriegeln.
Man würde meinen: so ein Verhalten erledigt sich selbst. Kein Gründer, keine junge Marke, kein Mensch mit Alternativen bleibt bei einem Dienstleister, der ihn behandelt wie eine lästige Unterbrechung.
Und doch gibt es sie massenhaft.
Grund: Überschuss an Nachfrage. In vielen Nischen — Abfüller, Spezialdruck, bestimmte Gewerke — gibt es nicht viele Anbieter. Wer ›etwas mit Dosen‹ braucht, landet früher oder später bei diesen Figuren.
Das Dumme daran ist der kultureller Reflex. In Deutschland glaubt man immer noch: ›Wer freundlich ist, ist verdächtig.‹ ›Wer streng ist, kennt sich aus.‹ ›Wer patzig ist, muss kompetent sein.‹ Der Dosenmann lebt von dieser Verwechslung.
Viele Leute sind zudem so daran gewöhnt, klein gemacht zu werden, dass sie es mit fachlichem Realismus verwechseln: ›Er hat mich zwar wie einen Idioten behandelt, aber er wird schon wissen, wovon er spricht.‹
In der Psychologie nennt man das erlernte Hilflosigkeit — eine deutsche Spezialität. Man könnte es auch strukturelle Feigheit nennen. Die meisten haben keine Lust, sich anzulegen. Sie nehmen es hin, gehen, erzählen vielleicht Freunden davon. Das war’s. Der Markt zuckt die Schultern, sanktioniert das Verhalten nicht.
Obszön ist die Vortäuschung von Offenheit, die in Abschreckung umschlägt. Mehrere Websites, die »Start-ups«, »Kleinmengen«, »besondere Projekte« adressieren. Blogartikel, in denen von »Partnerschaft« und »maßgeschneiderten Lösungen« die Rede ist. Und dann, sobald ein echter Mensch anruft, wird er behandelt, als habe er das Recht auf Kontakt bereits verwirkt.
Das ist die gleiche Logik wie in der Berliner Förderlandschaft: Man schreibt »Gründungsförderung« auf die Broschüre, installiert Formulare, Wettbewerbe, Programme. Und wenn jemand wirklich gründen will, erklärt man in siebzehn Unterpunkten, warum das alles so nicht geht. Der Dosenmann ist so gesehen die Mikro-Version einer Makro-Struktur: Angebote, die in Wahrheit Verteidigungsanlagen sind.
Für Gründer, die ohne Kapital starten, ist das Zyankali in Kreativform. Ich habe eine Idee, viel Arbeit in Produkt und Konzept gesteckt, suche jemanden, der einen technischen Schritt übernimmt, und lande bei jemandem, der mich wie eine Störung behandelt.
Manche passen sich an. Sie schlucken die Demütigung, versuchen, professioneller aufzutreten, reden sich ein, das sei nun mal die Branche. Manche geben auf, bevor sie überhaupt ein Muster in der Hand haben. Wenige nehmen das Ganze als das, was es ist: ein Charaktertest.
Man kann solche Begegnungen als persönliche Niederlage verbuchen: Ich war zu unsicher, ich habe mich schlecht gewehrt. Man kann sie aber auch als Übung in angewandter Gegenwartskunde lesen. Das Telefonat zeigt, wie viele Angebote in Wahrheit Abwehrmechanismen sind. Und dass hohe Hürden nicht aus Qualität bestehen, sondern aus schlechten Charakteren, die zufällig im Weg stehen.
Der Punkt ist: Der Dosenmann ist Teil der Infrastruktur. Er sitzt an einem Knotenpunkt zwischen Idee und Machbarkeit. Jeder Gründer, jeder kleine Hersteller, der ein Getränk testweise abfüllen lassen will, muss an jemandem wie ihm vorbei. Er entscheidet darüber, welche Produkte über das Laborstadium hinauskommen. Wenn diese Funktionsträger abwehrend, predigend, herablassend sind, dann ist das kein individuelles Temperament, sondern ein Standortfaktor. Gründerland, das nicht gründet. Innovationsrhetorik, die im Kontakt mit der Realität verpufft. Unternehmen, die noch vor dem ersten Prototypen an Dienstleister-Mauern abprallen.
Zwei Schlüsse, die man aus dem Dosenmann ziehen kann:
Man wählt seine Gatekeeper so sorgfältig wie seine Zutaten. Ein schlechter Dienstleister ist nicht nur nervig, sondern ein Geschäftsrisiko. Warum sollte ich meine Marke ausgerechnet mit jemandem aufbauen, der mich von Anfang an klein macht? Gute Dienstleister erklären Grenzen, aber suchen mit mir nach Lösungen. Schlechte Dienstleister erklären Grenzen und benutzen sie als Bühne. Das eine ist Fachlichkeit, das andere Charakter.
Man nimmt die innere Reaktion ernst und bleibt trotzdem kühl. Es ist normal, sich in solchen Gesprächen klein zu fühlen. Und hinterher die Sätze zu finden, die man gern gesagt hätte. Aber die eigentliche Stärke liegt nicht im Konter, sondern im Protokoll: Was genau hat er gesagt? Welche Annahmen hat er über mich getroffen, ohne die Fakten zu kennen? Welche Türen hat er zugeschlagen, ohne mich überhaupt geprüft zu haben? Aus dieser Analyse entsteht Klarheit darüber, wie ich selbst nicht sein will und wo ich meine Energie hintrage.
Der Dosenmann ist ein Verwandter von: dem Kreditberater, der Gründung vorschlägt und dann Kapital verweigert. Dem Förderprogramm, das auf der Website hochglanzverspricht und im Gespräch erklärt, warum man formal knapp nicht in die Zielgruppe fällt. Dem Amt, das »Service« an die Tür schreibt und Öffnungszeiten hat, die sich nur mit Zeitlupe nutzen lassen. Man bietet Möglichkeiten an, um sich in der Praxis mit ihrer Verhinderung zu beschäftigen.
Man kann sich darüber lustig machen. Man kann sich aufregen. Beides ist kurz befriedigend und langfristig nutzlos. Sinnvoller: den Typus erkennen, sobald er den Mund aufmacht. Nicht diskutieren, sondern sich innerlich bedanken und weiterziehen. Der Dosenmann will beweisen, dass die Welt zu dumm ist, um seine Erfahrung zu verstehen. Das kann er tun. Aber nicht auf meiner Bilanz.
Es gibt Menschen, die werden von schwierigen Systemen eingeschüchtert. Und es gibt Menschen, die sich bei jedem ›Das geht nicht‹ denken: Jetzt erst recht. Letztere bauen die Produkte, wegen derer die ersten irgendwann den Anbieter wechseln. Wenn der Dosenmann irgendwann feststellt, dass seine drei Websites zwar Klicks generieren, aber immer weniger ernsthafte Kunden, wird er sagen, der Markt sei schuld.
In Wahrheit hat der Markt gelernt, solche Stimmen zu erkennen. Und sich zu fragen, ob man sein Projekt wirklich dort abgeben will, wo man vom ersten Satz an bekämpft wird. Bis dahin bleibt er, was er ist: eine nützliche Erinnerung daran, dass es manchmal die klügste Reaktion ist, aufzulegen.
Diese Stimme verdient meine Sekunden nicht.



Vielleicht nicht von Berlin aus skalieren, vielleicht direkt in US starten.