Der deutsche Energiesuizid
Wie eine Nation ihre Industrie opferte, um ihr Gewissen zu wärmen
Germany is enacting the most expensive economic self-destruction in modern history—and receiving applause for it. Whilst industrial competitors expand coal and nuclear capacity, Berlin dismantles its energy infrastructure in the name of moral virtue, thereby exporting emissions, manufacturing, and prosperity alike. Yet thermodynamics remains indifferent to ideology: without abundant, reliable energy, no civilization—from molecule to metropolis—can endure.
Marie Antoinette empfahl angeblich Kuchen, als das Brot ausging. Hätte sie Kerzen vorgeschlagen, wäre die Revolution drei Monate früher ausgebrochen. Denn während man notfalls auch hart gewordene Brioche essen kann, lässt sich mit erloschenen Lichtern weder Brot backen noch Guillotinen schärfen.
Deutschland begeht gerade den teuersten Selbstmord der Wirtschaftsgeschichte — und bekommt Beifall. Während China über 200 neue Kohlekraftwerke baut, schalten wir unsere Kernkraftwerke ab. Das ist, als würde man an einem bitterkalten Wintermorgen die Heizung rausreißen, um Holz zu sparen.
Wahr ist: Energiemangel macht arm. Ohne Energie kollabiert jede Gesellschaft — von der Zelle bis zur Zivilisation. Wohlstand ist proportional zu Energie (Effizienz × Energie).1 Unter 2 000 kWh pro Kopf stagniert ein Land; ab 6 000 kWh entsteht industrielle Komplexität. Energiearmut bleibt Freiheitsberaubung mit Entwicklungshilfe‑Goldrand. Wer Energie spart, opfert Lebensstandard.2
Thermodynamik kennt keine Ideologie. 1973 senkte die OPEC den Ölhahn, der Westen rutschte in Rezession und Inflation. Die DDR versuchte sich 1974 vom Öl zu befreien und erfand Dederon. Doch die Kunstfaser fraß mehr Kohle, als sie an Öl einsparte. Und 1978 führte Strommangel zum Produktionskollaps: Ein Prozent weniger Energie kostete 0,7 % BIP.
Energie folgt dem Geld wie Wasser dem Gefälle. Senken wir im einen Eck die Nachfrage, ergießt sie sich anderswo. Dreht man hier den Hahn zu, schießt woanders der Pegel hoch. Der Rebound-Effekt3 ist nicht hintergehbar.
Stell dir vor, das beste Restaurant der Stadt würde seine Preise verdoppeln, um »nachhaltig« zu werden. Die Gäste fühlen sich gedrängt und weichen zum Chinesen aus — wo das Fleisch aus Mastbetrieben kommt. Der Koch steht in seiner leeren, moralisch einwandfreien Küche, während die verdrängte Nachfrage sich drei Straßen weiter entlädt. Psychologen nennen das Leakage: Was wir hier unterdrücken, bricht dort umso heftiger hervor. Lokale Einsparung verschiebt nur den Verbrauch, sie tilgt ihn nicht.
Seit 1990 sanken die hiesigen Energieaufwände pro Arbeitsplatz um 38 %, doch im selben Zeitraum importierten wir so viel graue Energie, dass sie um über 500 % anwuchs. Wenn Deutschland spart, springt China ein — mit 40 % mehr CO₂ pro Tonne. Laut Carbon Trust wanderten 2024 über 400 Mio. Tonnen CO₂ in Importgüter — mehr als Spanien emittiert. Der europäische CO₂-Preis exportiert Fabriken, nicht Emissionen.
Hinter dem Etikett ›Effizienz‹ steckt der geordnete Rückbau der Industrie: Subventionierte Windräder schaffen Bürokratie; deutsche Firmen wandern ab. Über die Hälfte der Großkonzerne plant laut DIHK Verlagerung — wegen hoher Energiepreise. Deutschland amputiert sich die Beine und lobt die Gewichtsabnahme, während die Blutspur nach Asien führt.
Was als sozialistisches Experiment scheiterte, wird heute als kapitalistische Erleuchtung verkauft. Deutschland zahlt die höchsten Strompreise der Welt und bricht genau jene Infrastruktur ab, die es für die Energiewende braucht. Politiker kaufen moralischen Applaus, NGOs (ohne »Nachhaltigkeit«) leben von der Angst wie Vampire vom Blut. Sie keltern düstere Prognosen zu teurem Moralwein, abgefüllt in EU-subventionierte Panikflaschen.
Physik ist nicht verhandelbar. Frankreich erzeugt zwei Drittel seines Stroms aus Kernkraft, zahlt halb so viel — und hat doppelt so viel Industrie. Polen plant sechs Reaktoren, die Emirate bauen vier. Nur Deutschland glaubt, man könne eine Industrienation mit Windrädern und Moral betreiben.
Was wir brauchen, ist kein Zappelstrom, sondern 350 TWh Grundlast bis 2035 — verlässlich, steuerbar, jederzeit. Ein Energiesystem, das nur liefert, wenn Wetter und Zufall es erlauben, ist wie ein Leuchtturm, der nur leuchtet, wenn die Sterne recht stehen: Die Frachter wählen längst andere Routen, der Hafen verödet, und der Wärter ruft in die Nacht, sein Licht sei doch so rein. Wer eine Industrienation bleiben will, braucht mehr als gutes Wetter.
Vaclav Smil, Energy and Civilization: A History, Cambridge 2017.
WBGU, Welt im Wandel — Energiewende zur Nachhaltigkeit, Hauptgutachten 2003.
In der System-Dynamics-Sprache heißt das Fix-that-Fail, in der Netz- und Regelungstechnik Waterbed Effect, in der Informatik Technical Debt und in der Ökonomie Law of Unintended Concequences.